Faktencheck Stromnetze verstopfen
Verstopft Strom aus „Atom- und Kohlekraft“ die Netze? Während die Erzeugung erneuerbarer Energien von Wind und Sonne abhängt, produzieren Atom und Kohlekraftwerke beständig Strom – auch wenn keiner benötigt wird. Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel will das ändern. Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung, Ausgabe vom 04.05.2017
Fakt: Die Engpässe im Stromnetz werden maßgeblich durch einen verzögerten Netzausbau auf Verteil- und Übertragungsnetzebene verursacht. Schon jetzt gibt es bis zur Abschaltung der letzten Kernkraftwerke bis 2022 eine dreijährige Lücke bis zur Inbetriebnahme der neuen großen Leitungsvorhaben SuedLink und SuedOstLink.
- Erläuterung
- Seit der Energiewende von 2011 wurden etwa 10.000 MW Kernkraft-Leistung vom Netz genommen. Die von den deutschen Netzbetreibern vorgehaltene Reserve-Kraftwerksleistung beträgt für den kommenden Winter ebenfalls etwa 10.000 MW.
- Die großen Netzneubau-Planungen sind an den Standorten der bereits abgeschalteten Anlagen Philippsburg 1, Isar1 und Grafenrheinfeld geplant, um die dort durch die Abschaltungen gerissenen Lücken netztechnisch wieder kompensieren zu können.
- Die derzeit noch produzierte Kernenergie machte im Jahr 2016 insgesamt nur einen Anteil von 13% der Stromerzeugung in Deutschland aus und kann damit kaum „maßgeblich“ sein.
- Die Windenergie in Norddeutschland muss bereits oft abgeregelt werden, auch wenn - wie derzeit - das Kernkraftwerk Brokdorf nicht produziert. Damit wird sofort klar: Der schleppende Netzausbau auf Verteil- und Übertragungsnetzebene ist hier das Problem, nicht das Kernkraftwerk. Das Problem kann offensichtlich vor wie nach Abschaltung des Kernkraftwerks Ende 2021 nur durch Leitungsbau gelöst werden.
- Der Chef der Bundesnetzagentur Homann bestätigte bei der Vorstellung seines Jahresgutachtens am 08. Mai 2017, dass der Netzausbau durch die Energiewende bedingt ist.
- Ebenfalls bestätigt Homann mit der Vorstellung seines Jahresberichts, dass zentrale Teile des Netzausbaus erst 2025 und damit drei Jahre nach Ausstieg aus der Kernenergie fertig werden, was er als zu spät einstuft. Dies zeigt deutlich, dass die Kernkraftwerke Teil der heute noch bestehenden Lösung und nicht des Problems sind.
- Konventionelle Kraftwerke im Norden (z.B. Wilhelmshaven, auch oft Heyden) werden auch zu sogenanntem „positiven Redispatch“ herangezogen – d.h. sie müssen auf Anforderung der Netzbetreiber die Leistung erhöhen, um das Netz zu stützen. Nach Ablauf des geplanten Revisionszeitraums in Brokdorf wurde Heyden bspw. (Stand 10.05.) für zusätzliche Stromproduktion (den positiven Redispatch) angefordert. Wilhelmshaven hatte ebenfalls Anforderungen für positiven Redispatch seit März 2017.
- Wir vermarkten sogenannte „Systemdienstleistungen“ an mittlerweile den meisten Tagen des Jahres – das sind technische Reaktionsmöglichkeiten unserer Kernkraftwerke, in der Primär-, Sekundär- und Minutenreserve, die von den Netzbetreibern zur Stabilisierung des Netzes gebraucht und nachgefragt werden, dies sind in der Regel Absenkungen.
- Weiterführende Informationen
https://www.netzentwicklungsplan.de/de/netzentwicklungsplaene/netzentwicklungsplan-2022
http://www.kernenergie.de/kernenergie/themen/kernkraftwerke/kernkraftwerke-in-deutschland.php
https://www.netztransparenz.de/EnWG/Redispatch
https://www.rhein-zeitung.de/newsticker/popup.php?arid=1647434&cobo=4017&collection=2393
http://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/energieversorgung/netzausbau#textpart-1
Fakt: Weder CO2-Ausstoß noch Kosten für die Endverbraucher würden durch Abregeln der Kernkraftwerke reduziert werden.
- Erläuterung
- Von der Mindesterzeugung der „konventionellen Kraftwerke“ machen Kernkraftwerke den geringsten Teil aus. Kernkraftwerke reagieren auch flexibel auf die Anforderungen des Netzbetreibers. Nur das vollständige und gleichzeitig kurzzeitige Ausschalten macht energiewirtschaftlich keinen Sinn.
- Kernkraftwerke emittieren auch bei Volllast kein CO2.
- Die Treibhausgasemissionen Deutschlands sind im Jahr 2016 im Vergleich zu 2015 gestiegen. Ein weiteres Abregeln der CO2-freien Kernenergie zugunsten von Gas- oder Kohlekraftwerken verstärkt den CO2-Ausstoß und verringert ihn nicht.
- Die Redispatch-Kosten werden durch den EEG-bedingten Zubau Erneuerbarer Energien ohne parallel ausreichenden Netzausbau verursacht. Beides liegt in politischer Verantwortung, nicht in der der Unternehmen.
- Die Kosten entstehen insbesondere durch positiven Redispatch (Leistungserhöhung) und Reservekraftwerke. Dieser betrifft in der Regel keine Kernkraftwerke, die normalerweise zur Netzentlastung durch Leistungsreduzierung angefordert werden. Redispatch besteht normalerweise aus einer Leistungsminderung (z.B. im Norden) und einer Leistungserhöhung (z.B. im Süden). Die Redispatch-Kosten sind in diesem Fall der Unterschied der höheren Erzeugungskosten z.B. von Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerken in Süddeutschland im Vergleich zu den niedrigen Kosten der Kernenergie. Würde bei abgeschaltetem Kernkraftwerk jetzt über den Strommarkt schon direkt das teurere Kraftwerk im Süden angefordert, würde der Strompreis bei den Endkunden dadurch nicht sinken, sondern sich insgesamt erhöhen. Die höheren Erzeugungskosten würden dann nur in der Strombeschaffung am Markt weiterberechnet und nicht mehr über die Netzentgelte.
- Der Anteil des Redispatch an der Mindesterzeugung betrifft laut einer Studie der Übertragungsnetzbetreiber nur 0,5 bis 2,5 GW.
- Der Anteil von Steuern, Abgaben und Umlagen und damit der staatlich verursachte Preisanteil am Strompreis hat sich seit 1998 mehr als verdoppelt. Die Kosten für Erzeugung und Vertrieb sind dagegen nahezu gleich geblieben. Die EEG-Umlage macht mit deutlich über 20% einen ähnlich großen Anteil des Strompreises für den Stromkunden aus, wie die Netzentgelte, deren Anstieg sich durch den nötigen Leitungsbau aufgrund des Ausbaus der Erneuerbaren Energien ergibt.
- Eine Reduzierung von Redispatch-Kosten kann nur durch den adäquaten Netzausbau, aber nicht durch Diskriminierung einzelner Erzeugungsarten erreicht werden.
- Weiterführende Informationen
https://www.stromauskunft.de/strompreise/strompreis-zusammensetzung/
https://www.bdew.de/internet.nsf/id/strompreisanalyse-2017-de
http://www.wie-energiesparen.info/fakten-wissen/der-strompreis-wie-setzt-er-sich- zusammen/
http://www.umweltbundesamt.de/daten/klimawandel/treibhausgas-emissionen-in-deutschland
Fakt: Konventionelle Kraftwerke produzieren sehr selten und bedingt durch viele – auch politische – Faktoren zu negativen Preisen.
- Erläuterung
- In der Studie des Energieforschungs-Zentrums Niedersachsen (EFZN) im Auftrag des Niedersächsischen Umweltministeriums werden konventionelle Kraftwerke mit Kernkraftwerken über einen Kamm geschoren. Von den zitierten 25 GW macht die Kernenergie aber nur noch den geringsten Teil aus, insbesondere im Vergleich zur Braunkohle.
- Kernkraftwerke können zudem ihre Leistung schneller anpassen als die meisten Kohlekraftwerke – und tun es bereits.
- Die Studie des EFZN im Auftrag des Niedersächsischen Umweltministeriums bezieht sich auf wenige Stunden und lässt dabei außer Acht, in wie vielen Stunden das Ausbleiben von Solar- oder Windenergie die konventionellen Kraftwerke im Netz zwingend notwendig macht.
- Laut einer Studie der Übertragungsnetzbetreiber machen die Eigenerzeugung und die – politisch gewollte und finanziell unterstützte – Kraft-Wärme-Kopplung einen Großteil der Mindesterzeugung aus. Aufgrund der derzeitigen politisch verordneten Struktur der Netzentgelte und der Marktorganisation sei es sinnvoll, Strom zu erzeugen, obwohl die Börsenpreise so gering sind, dass sie unterhalb der variablen Stromerzeugungskosten der Eigenerzeugungsanlage liegen oder gar negativ sind.
- Dies bestätigt auch eine Studie der Bundesnetzagentur.
- Weiterführende Informationen
Der weiter sinkende Anteil der Kernenergie in Deutschland hat einen geringen Anteil im Verhältnis zu konventionellen Energieträgern und damit auch an der Mindesterzeugung.
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/093/1809378.pdf:
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 18/9157): Welche Kraftwerke werden in Deutschland durchgehend oder zeitweise als so gennannte Must-run-Kapazitäten betrieben (bitte nach Bundesländern und Landkreisen anlagenscharf auflisten)?
Antwort der Bundesregierung: „Ursachen der Mindesterzeugung sind situationsabhängig entweder netz- bzw. systemtechnische Anforderungen, die auf direkte Eingriffe der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) in den Kraftwerkseinsatz zurückzuführen sind, oder dezentrale Einsatzentscheidungen der Kraftwerksbetreiber aus unterschiedlichen Beweggründen. Eine allgemeine Deklaration eines Kraftwerkes als „Must-run-Kapazität“ ist daher kaum möglich. Bislang liegen der Bundesregierung entsprechende Informationen zu Must-Run-Kapazitäten nicht vor.“
Die Bundesregierung bestätigt mit dieser Antwort die Notwendigkeit von netztechnischen Gründen. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine Informationen zu den angeblich 25 GW Must-run vor.